Mut, Wissen, Wandel
Die Menschheit verdankt bahnbrechenden Entdeckungen in der Medizin ganz neue Horizonte. Menschen haben Enormes geleistet, um ihren Mitmenschen zu helfen. Ob auf dem Gebiet von Krebserkrankungen oder etwa bei Alzheimer, noch immer ist viel zu tun.
Diese Ausstellung wird mehr sein als eine Reihung von Biographien und Leistungen deutschsprachiger Forschender von Weltrang. Was eint und was unterscheidet die Pioniere und Pionierinnen der Medizin der Vergangenheit? Was hat sie motiviert, welches Umfeld hatten sie, und welche Wege der Finanzierung fanden sie? Wie haben ihre Leistungen unser Leben verändert?
Die Ausstellung stellt Persönlichkeiten vor, die mit Mut und Ausdauer Grenzen überschritten und die moderne Medizin geprägt haben. Sie fragt auch: Haben wir die Universalgelehrten der Vergangenheit für immer gegen absolute Spezialisten eingetauscht? Und wie kann Europa in Zukunft die Nase wieder vorne haben?
Neben eindrucksvollen Exponaten und Biografien wird die Ausstellung begleitet durch Vorträge von Medizinhistorikern sowie von Vertreterinnen und Vertretern der Industrie – etwa der Firma Ottobock (TBC), die zeigt, wie Innovation, Forschung und Praxis auch heute Hand in Hand gehen.
Wir laden Sie ein, gemeinsam den Spuren der Pioniere und Pionierinnen zu folgen, ihre Antworten auf die drängenden Fragen ihrer Zeit kennenzulernen – und darüber nachzudenken, welche Antworten wir heute finden müssen. Wie schaffen wir es, dass neue Pioniere das Leid unserer Zeit erfolgreich bekämpfen können?
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Die Medizin und die Psychologie haben verändert, wie lange unsere Leben dauern, wie gesund wir bleiben, und wie wir unsere Leben überhaupt verstehen. Manche Mediziner hatten deshalb auch wichtigen Einfluss auf unsere Kultur. Adolph Kussmaul beschrieb nicht nur Legasthenie und half damit einem Stigma ein Ende zu setzen. Er ist auch nebenbei der Grund, warum die Biedermeierzeit eben Biedermeierzeit heißt.
Freuen Sie sich hier schon als Vorgeschmack auf die Ausstellung auf eine kleine Auswahl von Menschen, die Unglaubliches geleistet haben. Wir werden in der Ausstellung erkunden, wie Schwiegervater und Schwiegersohn in Heidelberg die Welt veränderten. Wir lesen in Zeiten der DDR trotzdem führende Knochenmarkstransplantationen gemacht wurden. Wir stellen Ihnen die erste promovierte Ärztin Deutschlands vor und die bislang letzte Medizin-Nobelpreisträgerin Deutschlands. Wie wächst Exzellenz in der Medizin? Wie ermöglichen wir sie in der Zukunft für die Probleme unserer Zeit?
Ein Begleitprogramm bereichert die Ausstellung mit hochkarätigen Vorträgen und Diskussionen.
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Deutschlands erste promovierte Ärztin.
Im Jahr 1754 erhielt Dorothea Christiana Erxleben – mit Sondergenehmigung des preußischen Königs – als erste Frau in Deutschland den Doktortitel in Medizin. Damit brach sie ein Tabu in einer Zeit, in der Frauen von akademischer Bildung ausgeschlossen waren.
Schon als Kind zeigte sie außergewöhnliche Lernfreude. Ihr Vater, Arzt und Anhänger der Aufklärung, unterrichtete sie ebenso wie ihre Brüder. So eignete sie sich auch Latein an – eine Grundvoraussetzung für das Medizinstudium. Trotz gesellschaftlicher Widerstände folgte sie ihrer Leidenschaft für die Wissenschaft und wurde zur Pionierin, die Frauen den Weg in die Medizin ebnete.
1747 starb Dorothea Erxlebens Vater, woraufhin sie seine Praxis übernahm – obwohl ihr ein offizielles Medizinstudium noch verwehrt war. Das rief in Quedlinburg Misstrauen und Ablehnung unter den Ärzten hervor. Als 1753 während ihrer vierten Schwangerschaft eine Patientin starb, nutzten drei Kollegen die Gelegenheit und verklagten sie wegen „Pfuscherei“. Zwar ließ sich der Vorwurf nicht beweisen, doch wurde ihr die weitere Tätigkeit vorübergehend untersagt.
Erxleben wehrte sich schriftlich gegen dieses Verbot, verwies auf die königliche Erlaubnis zur Promotion und reichte schließlich ihre Dissertation ein. Im Juni 1754 promovierte sie als erste Frau in Deutschland zur Doktorin der Medizin – mit Auszeichnung. In ihrer Arbeit warb sie für eine sanfte Medizin mit Wickeln, Heilkräutern und Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte. Gleichzeitig kritisierte sie kostspielige „Modemedikamente“, die viele ihrer männlichen Kollegen einsetzten.
Bis zu ihrem frühen Tod mit nur 46 Jahren praktizierte Erxleben erfolgreich und anerkannt als Ärztin. Dennoch dauerte es noch über ein Jahrhundert, bis Frauen in Deutschland offiziell ein Medizinstudium aufnehmen durften.
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Ein Universalgelehrter? Von der Magenpumpe zur Legasthenie – und einem Namensgeber der Biedermeier.
Adolph Kußmaul war ein vielseitiger Mediziner, insbesondere als Kliniker. Er befasste sich mit Epilepsie, Anomalien des Uterus, dem Seelenleben des Neugeborenen, der Technik der Thorakozentese, der Pockenimpfung, Tetanie und Sprachstörungen. Gleichzeitig war er ein glänzender Feuilletonist und Lyriker. Als praktischer Arzt trat er für die Anwendung altüberlieferter Heilmittel ein: „Die Natur ist eben immer unsere Lehrmeisterin und der rechte Arzt immer Naturarzt, denn nur aus ihrem unerschöpflichen Born stammt alle Heilkunst.
Im Jahr 1844 errang Kußmaul als Heidelberger Student den Preis für eine medizinische Preisaufgabe (goldene Karl-Friedrich-Medaille). In der ausgezeichneten Arbeit Die Farbenerscheinungen im Grunde des menschlichen Auges beschrieb er die physiologischen Grundlagen der Sichtbarmachung des Augenhintergrundes und erkannte damit die Voraussetzungen (unter anderem die Verwendung einer plankonkaven Linse, die der Wölbung der Hornhaut entspricht und der Konzeption des Kontaktglases von Köppe und Goldmann sowie der Hruby-Linse von Karl Hruby vorausging) für die 1850 entwickelte Ophthalmoskopie mit dem Augenspiegel, deren Nutzen er vorsah.
Seit 1860 befasste er sich mit Arbeiten über die Periarteriitis nodosa (mit Rudolf Robert Maier), führte nach älteren Vorbildern die Magensonde zu therapeutischen Zwecken sowie die Magenpumpe in die klinische Praxis ein (1867) und die Thorakozentese bei Pleuritis, Empyem und Pneumothorax. Es folgten weitere Veröffentlichungen zum paradoxen Puls (1873), zur progressiven Muskelatrophie, Diabetes mellitus und zu Sprachstörungen.
Kußmaul setzte die Magenpumpe zur Behandlung der Magenausgangsstenose (-Verengung) ein, beschrieb eine Operationsmethode dieser Stenose, führte Entnahmen von Magensaft zur Untersuchung und Versuche zur Magenspiegelung durch.
1877 beschrieb er als erster, unter der Bezeichnung „Wortblindheit“, die Legasthenie.
Lesen Sie hier mehr über Kußmauls Entdeckungen.
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Pionier der modernen Krebschirurgie und der plastischen Chirurgie.
Vincenz Czerny, geboren in Trutnov (Böhmen), gilt als einer der bedeutendsten Chirurgen seiner Zeit. Nach Studien in Prag und Wien – u. a. als Schüler von Theodor Billroth – wurde er 1877 Professor in Heidelberg, wo er über Jahrzehnte die Entwicklung der modernen Chirurgie prägte. Er ist der Schwiegersohn von Adolph Kussmaul.
Czerny war Wegbereiter der Onkologie: 1906 gründete er das Institut für Experimentelle Krebsforschung in Heidelberg, ein Vorläufer des heutigen Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Dort eröffnete er mit dem Samariterhaus eines der ersten spezialisierten Krankenhäuser für Krebspatienten.
Seine chirurgischen Innovationen umfassten die erste partielle Nierenentfernung (1887), die erste vaginale Totalhysterektomie (1879) und neue Operationsverfahren für Leistenbruch und Nierensteine. Berühmt wurde Czerny zudem 1895 mit der weltweit ersten Brustrekonstruktion, bei der er nach einer Tumorentfernung eine Brust mit körpereigenem Gewebe formte – eine frühe Form der plastischen Chirurgie.
Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (1901) und des Internationalen Chirurgenkongresses (1908) setzte Czerny Maßstäbe in der internationalen Medizin. Sein Wirken verbindet Pioniergeist in der Krebschirurgie mit einer humanistischen Haltung, die sich besonders in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit inoperablen Tumoren zeigte.
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Exzellenz im Kommunismus
Werner Helbig und die Knochenmarktransplantation in Deutschland
Werner Helbig, Pionier der Knochenmarktransplantation in Deutschland, wendete sich früh der Hämatologie zu und trieb mit großer Energie in der DDR den Aufbau einer innovativen Hämatologie und Onkologie an der Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Leipzig voran. Er etablierte eine Sterilpflegeeinheit und erreichte die Zustimmung des Gesundheitsministeriums der DDR zur Knochenmarktransplantation in Leipzig. Im Januar 1980 führte er in Leipzig die erste allogene und ein Jahr später die erste autologe Knochenmarktransplantation durch. 1990 wurde Helbig zum Vorsitzenden der Gesellschaft für Hämatologie und Bluttransfusion der DDR gewählt, die er bis zu ihrer Auflösung 1991 führte.
Helbig gehört nicht nur zu den Pionieren der Knochenmarktransplantation in Deutschland, betont die Ostdeutsche Studiengruppe Hämatologie und Onkologie und die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, deren Ehrenvorsitzender beziehungsweise Ehrenmitglied er war. Ein zentrales Anliegen von ihm sei die wissenschaftliche Evaluation hämatologisch-onkologischer Therapiestrategien gewesen. Helbig war ein Motor für den Aufbau klinischer Studien. Trotz Mangelwirtschaft in der DDR realisierte er Studienprojekte im Bereich der akuten myeloischen und akuten lymphatischen Leukämie und der chronischen myeloischen Leukämie.
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Nobelpreisträgerin und Pionierin der Entwicklungsbiologie.
Die deutsche Biologin Christiane Nüsslein-Volhard wurde 1995 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet – gemeinsam mit Eric Wieschaus und Edward B. Lewis. Ihre Arbeiten veränderten das Verständnis von der genetischen Steuerung der Embryonalentwicklung grundlegend.
Gemeinsam mit Wieschaus gelang es ihr, Gene zu identifizieren, die in der Taufliege Drosophila melanogaster die Ausbildung des Körperplans und der Segmente bestimmen. Mit der von ihr entwickelten Gradiententheorie zeigte sie, wie Konzentrationsgefälle in der Eizelle und im Embryo die Genaktivität lenken – ein Prinzip, das auch bei Wirbeltieren eine Rolle spielt.
In späteren Jahren machte sie den Zebrabärbling (Danio rerio) zum zentralen Modellorganismus der Entwicklungsbiologie. Ihre Forschung eröffnete neue Einsichten in die Entstehung komplexer Organismen und schuf Grundlagen für medizinische Fortschritte, etwa beim Verständnis von Fehlbildungen und regenerativen Prozessen.
Christiane Nüsslein-Volhard gilt als eine der prägendsten Forscherinnen ihrer Zeit – als Wegbereiterin, Nobelpreisträgerin und Vorbild für kommende Generationen.